Was ist Misophonie ?
Diese Frage kann nicht eindeutig beantwortet werden, denn die Forschung steht hier erst am Anfang. Man kann das komplexe Beschwerdebild jedoch mit einer Intoleranz gegenüber bestimmten Alltags- und Körpergeräuschen beschreiben. Also Geräuschen, die beim Schlucken, Atmen oder Kauen entstehen. Aber auch auch Kratzgeräusche oder das Klicken eines Kugelschreibers können zum Trigger werden. Misophonie hat nichts mit der Lautstärke des Geräusches zu tun, sondern vielmehr mit dem Kontex, in dem das Geräusch auftritt. Misophoniker ist, wer mindestens ein Auslösergeräusch hat, dass eine extreme emotionale Reaktion im Organismus anstößt. Statistiken lassen vermuten, dass bis zu 15 % der Menschen unter Misophonie leiden, so die Autorin und Hypnosetherapeutin Biance Gutzeit.
Was passiert bei Misopohnie im Gehirn?
Das Triggergeräusch selbst löst keine Emotionen aus, auch wenn es so scheint, sondern es löst einen ungewollten körperlichen Reflex im autonomen Nervensystem aus, der vom Gehirn als Hinweis auf eine Bedrohung gedeutet wird. Bei Bedrohung mobilisiert unser Gehirn den Kampf- oder Fluchtmodus im Organismus, um uns in Sicherheit zu bringen. Erst diese reflexhafte Reaktion des limbischen Systems des Gehirns löst die starken Emotionen aus. Allerdings kann die emotionale Intensität unterschiedliche Niveaus erreichen. Stressreaktionen des Körpers wie Herzklopfen, erhöhte Muskelspannung und Schwitzen sind ebenfalls typisch.
Es gibt Hinweise, dass durch solche Triggergeräusche eine Überaktivität bestimmter Hirnareale angeregt wird, so Bianca Gutzeit. Misophonie kann, so die Autorin, bereits in der frühen Kindheit auftreten, wenn Eltern oder Geschwister entsprechende Reaktionen zeigen. Oder erst im späteren Erwachsenenalter. In beiden Fällen kommt es zu erheblichem Leidensdruck und sozialen Folgeproblemen. Die Betroffenen ziehen sich aufgrund der emotionalen Belastung z.B. von gemeinsamen Mahlzeiten zurück und familiäre Zusammenkünfte werden gemieden.
Belastenden Gefühle
Extrem belastend kommt hinzu, dass die Misophonie mit großer Wut, Hassgefühlen und Ekel der Betroffenen gegenüber eigentlich geliebten Mitmenschen einhergeht, da diese die belastenden Geräusche erzeugen. Das wiederum führt zu starken Schuld- und Schamgefühlen. Aber auch zu Trostlosigkeit und Hilflosigkeit. Wird die Ernsthaftigkeit der Beschwerden vom sozialen Umfeld nicht anerkannt oder respektiert, kommt es oft zu spannungsreichen Konflikten im sozialen Gefüge, die wiederum das autonome Nervensystem befeuern.
Hilfe bei Misophonie
Misophonie ist nicht heilbar. Psychologische Gespräche können jedoch helfen. Zum einen dabei, dass keine weiteren Trigger hinzukommen. Zum anderen, den bestehenden Trigger zu reduzieren und soziales und emotionales Leid abzufedern. Besonders entlastend sind aufklärende, therapeutische Familiengespräche bei denen u.a. deutlich wird, dass es sich bei Misophonie nicht um eine Eigenart handelt, die mit „gutem Willen“ beeinflussbar wäre. Nicht der Misophoniker ist das Problem, sondern die immense Überforderung aller durch das hartnäckige Beschwerdebild der Misophonie.
Unter therapeutischer Regie können die Beteiligten offen darüber reden, wie ein Jeder die Situation erlebt und wie er sich dabei fühlt, ohne dass die Situation eskaliert. Dadurch wächst nicht nur das gegenseitige Verstehen, sondern auch die Bereitschaft ein entlastendes Commitment im Umgang mit der /den Triggersituation/en zu erarbeiten. Bereits das kann das Triggerniveau senken.
Für den Misophoniker selbst ist es enorm hilfreich, regelmäßig Entspannungsübungen in seinen Alltag zu integrieren, um das Erregungsniveau seines autonomen Nervensystems auszubalancieren und so das persönliche Triggeniveau zu senken.
Frühe Hilfe stärkt die emotionale Verbundenheit des Familiensystems und lindert eindeutig das Leid der Betroffenen.
Misophonie ist noch nicht in die Klassifizierung psychischer Erkrankungen aufgenommen und es werden häufig Fehldiagnosen gestellt. Anbei bekommen Sie von mir einen Misophonie-Selbstbewertungs-Fragebogen an die Hand, der Ihnen helfen kann, sich selbst einzuschätzen und den Schweregrad der Misophonie herauszufinden.
Der Misophonie Selbstbewertungs Fragebogen
Marsha Johnson entwickelte den Misophonie-Selbstbewertungsfragebogen für ihre Patienten. Er besteht aus 21 Fragen, von denen jede mit 0 bis 3 Punkten bewertet werden kann, je nachdem, wie gut dieser Zustand auf Sie zutrifft. Die Gesamtzahl Ihrer Punkte kann Ihnen helfen, den Schweregrad Ihrer Misophonie zu bestimmen.
BEWERTUNGSSKALA: 0 = überhaupt nicht, 1= ab und zu, 2 = häufig, 3 = fast immer Punktzahl
1. Meine Geräuschproblematik macht mich derzeit unglücklich.
2. Meine Geräuschproblematik beeinträchtigt mich.
3. Meine Geräuschproblematik hat mich in letzter Zeit wütend gemacht.
4. Ich glaube, dass niemand versteht, warum ich ein Problem mit bestimmten Geräuschen habe.
5. Meine Geräuschproblematik scheint keine klare Ursache zu haben.
6. Ich fühle mich aufgrund meiner Geräuschproblematik hilflos.
7. Meine Geräuschproblematik beeinträchtigt derzeit mein Sozialleben.
8. Ich fühle mich aufgrund meiner Geräuschproblematik isoliert.
9. Meine Geräuschproblematik hat mir in letzter Zeit Probleme in Gruppen bereitet.
10. Meine Geräuschproblematik wirkt sich negativ auf mein Berufs- / Schulleben aus.
11. Meine Geräuschproblematik frustriert mich.
12. Meine Geräuschproblematik wirkt sich negativ auf mein ganzes Leben aus.
13. Ich habe in letzter Zeit Schuldgefühle aufgrund meiner Geräuschproblematik.
14. Meine Geräuschproblematik ist laut anderen „verrückt“.
15. Ich habe das Gefühl, dass mir niemand in Bezug auf meine Geräuschproblematik helfen kann.
16. Ich fühle mich aufgrund meiner Geräuschproblematik hoffnungslos.
17. Ich glaube, dass sich meine Geräuschproblematik immer nur verschlimmern wird.
18. Meine Geräuschproblematik beeinträchtigt meine Beziehungen innerhalb der Familie.
19. Meine Geräuschproblematik erschwert es mir in letzter Zeit, mit anderen Leuten zusammen zu sein.
20. Meine Geräuschproblematik wird nicht als tatsächliches Leiden anerkannt.
21. Ich mache mir Sorgen, dass mein ganzes Leben von meiner Geräuschproblematik bestimmt sein wird.
GESAMTPUNKTZAHL
Dr. Johnson unterteilte die Skala in drei Teile: 0-21 gilt als gering, 22-42 als mäßig und 43-63 als akut.
Quellen: Magazin des VFP 03.2024, Artikel Misophonie S.12-13, Bianca Gutzeit, Heilpraktikerin für Psychotherapie mit Schwerpunkt Hypnose, Autorin
https://misophonie.de/misophonie-experten-thomas-dozier-und-andreas-seebeck/, https://misophonie.de/misophonie-test/